Kognitive Verhaltenstherapie

Bei Patienten mit chronischem Schmerz wird zusätzlich zu medizinischen Maßnahmen häufig die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) angewendet. Dieses Verfahren geht davon aus, dass die Art und Weise, wie wir mit unseren Gedanken, Gefühlen und unserem Verhalten auf Stress im Alltag reagieren, körperliche Schmerzen aufrechterhält oder sogar verstärkt. Auch der Schmerz selbst kann ein hoher Stressfaktor sein. Schmerzzustände, die durch psychischen Stress allein verursacht werden sind eher selten. Da es sich um komplexe Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper handeln kann, ist eine gute Zusammenarbeit zwischen dem behandelnden Arzt und einem wenn möglich auf Schmerz spezialisierten Psychotherapeuten notwendig.

Bestimmte Verhaltensweisen können zu Schmerz führen:

Psychosoziale Stressoren

Anhaltende Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten am Arbeitsplatz, mit dem Partner, mit Kindern oder anderen Personen (z.B. Eltern) können zu Schmerz führen. Der Stress manifestiert sich in den unterschiedlichsten Körperregionen, meist als erhöhte Muskelspannung, beispielsweise im unteren oder oberen Rücken, in der Kaumuskulatur oder auch in der Muskulatur des Magens-Darm-Traktes. Parallel dazu kann die Schmerzempfindlichkeit zunehmen, da im Stresszustand vermehrt Stresshormone wie Cortisol ausgeschüttet werden.

Körperliche Stressauslöser

Anhaltende einseitige, z.B. vornübergebeugte Körperhaltungen oder die häufige Wiederholung bestimmter Bewegungsabläufe können Muskeln, Bänder, Gelenke oder Bandscheiben überlasten. So entstehen Schmerzen im Rücken, Arm (z.B. sog. Tennisarm) oder in anderen Körperteilen. Die einseitigen Körperhaltungen können durch äußere Vorgaben bedingt sein, beispielsweise den Arbeitsplatz. Sie können aber auch als „innere Zwänge“ in Form automatischer (verinnerlichter) Gedanken und Verhaltensweisen Schmerzen aufrechterhalten.

Innere Zwänge

Führt eine dauerhaft vornübergebeugte Haltung zu Schmerzen im Rücken, würden diese durch günstige Gedanken („Ich brauchte eine Pause“) und daraus resultierendes Verhalten (tatsächlich kurze Pausen einzulegen) gemindert. Durch Gedanken des Durchhaltenwollens („Stell‘ dich nicht so an, du kannst dich heute Abend ausruhen“), des Bagatellisierens („Ist nicht weiter schlimm“) und Ignorierens („Einfach nicht beachten“) sowie damit verbundene Durchhaltestrategien (trotz Schmerzen die Aktivität unbedingt erst zu Ende zu bringen) werden die Schmerzen dagegen verstärkt.
 

Schmerzverarbeitung

Ebenfalls ungünstig ist die gegenteilige innere Haltung, die „ängstlich-vermeidende Schmerzverarbeitung“. Solche Patienten erleben anhaltende Schmerzen als sehr bedrohlich und empfinden eine extreme Bewegungsangst. Um den Schmerzen auszuweichen, verzichten sie zum Beispiel nicht nur auf Sport, sondern vermeiden auch kaum anstrengende körperliche Aktivitäten wie Spazierengehen, was sich ungünstig auf die Schmerzkrankheit auswirkt. Nicht selten erleben solche Menschen beide Extremformen der Schmerzverarbeitung an einem Tag, indem sie zum Beispiel während der Arbeitszeit „tapfer durchhalten“ und am Abend, wenn die Schmerzen durch die fehlende Ablenkung sehr viel stärker wahrgenommen werden, plötzlich mit starken Angstgedanken (Katastrophisieren) reagieren, die zu einem zunehmend passiven Verhalten führen. Typische Angstgedanken sind beispielsweise „Was ist, wenn diese Schmerzen überhaupt nicht mehr aufhören? Habe ich eine schlimme Krankheit?“

Bio-psycho-soziale Folgen des Schmerzes

Wenn Schmerzen nicht in absehbarer Zeit auf medizinische Maßnahmen ansprechen, führen sie häufig zu Schlafstörungen, erhöhter Müdigkeit am Folgetag und vermehrter Anstrengung, weil versucht wird, dennoch alle Alltagspflichten zu erfüllen. Dauert dieser Zustand an, folgen Erschöpfung und Gefühle des Versagens mit depressiver Stimmung.
 

Gedanken von „Hilf-und Hoffnungslosigkeit“ führen in einen Teufelskreis der zunehmenden Schmerzverstärkung.

Vorgehensweisen der Kognitiven Verhaltenstherapie

In der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) lernt der Schmerzpatient, seine Verhaltensmuster im Umgang mit Stress und dem Schmerz selbst zu erkennen und in kleinen Schritten zu verändern, damit sie nicht länger schmerzverstärkend wirken.

1. Schritt: Situationsanalyse

Um ungünstige automatische Gedanken und Verhaltensweisen aufzuspüren, eignen sich sogenannte Situationsanalysen. Dabei wird der Patient ermuntert, sich an eine typische Situation, in der die Schmerzen stärker werden, so lebendig wie möglich zu erinnern. Der Therapeut begleitet seinen Patienten dabei, den Ablauf einer solchen schmerzauslösenden/schmerzverstärkenden Situation so genau wie möglich, quasi wie durch ein Mikroskop, aufzuschlüsseln. Beispielsweise wird er angeleitet, zu beobachten, welche automatischen/gewohnten, in Bruchteilen von Sekunden ablaufenden Gedanken aufgetreten sind, von welchen Gefühlen diese begleitet wurden und mit welchen Verhaltensweisen er dann reagierte. Darüber hinaus wird geschaut, welche Handlungsmöglichkeiten der Patient grundsätzlich kennt, um diese oder ähnliche Situationen zu bewältigen und unter welchen Umständen er diese ausführt oder unterlässt. Diese Situationsanalysen können durch systematische Selbstbeobachtungen (u.a. durch ein Schmerztagebuch) des Patienten zu Hause sehr gut ergänzt werden. Im Verlauf einer oder mehrerer Situationsanalysen werden typische Gewohnheiten (Verhaltensmuster) gedanklicher und verhaltensmäßiger Stress- oder Schmerzbewältigung entdeckt. Sie können dem Patienten entweder nicht bewusst sein oder grundsätzlich zwar bewusst, aber aufgrund des gewohnheitsmäßigen Ablaufs ohne Weiteres nicht änderbar sein.

2. Schritt: Änderungsziele vereinbaren

In einem zweiten Schritt vereinbaren Therapeut und Patient gemeinsam Änderungsziele. Diese sollten so konkret wie möglich als günstige Gedanken und/oder Verhaltensweisen formuliert werden. Änderungen müssen in kleine, umsetzbare Schritte aufgeteilt werden. Dabei kann der Patient jederzeit innehalten und gegebenenfalls Ziele verändern. Dies ist notwendig, da Ängste vor unerwünschten Veränderungen den Erfolg der Therapie verhindern bzw. hinauszögern können. Ein weiterer wichtiger Punkt in der Therapie ist, sich auch für kleine positive Veränderungen in den Gedanken oder im Verhalten zu loben und diese anzuerkennen.
 

3. Schritt: Mit Rollenspielen neues Verhalten einüben

Neues Verhalten, beispielsweise dem Kollegen in einer Konfliktsituation mit selbstsicherem Verhalten entgegenzutreten, wird zunächst in der Therapie in Rollenspielen erprobt. In diesem Schonraum erlebt der Patient, wie sich verschiedene alternative Verhaltensweisen anfühlen. Er macht Erfahrungen damit, wie schwierig die neue Verhaltensweise für ihn ist (leicht/schwer), ob sie den eigenen Vorstellungen entspricht („Passt dieses Verhalten zu mir? Bin ich das noch?“) und wie effektiv sie ist („Führt das wirklich zu weniger Ärger oder Angst?“, „Führt das Verhalten zu mehr Entspannung, zu weniger Schmerzen oder auch zu einem gelasseneren Umgang mit einer Konfliktsituation?“). Im Rahmen des Rollenspiels kann der Therapeut die Rolle des Gegenparts übernehmen, im weiteren Verlauf auch den Part des Patienten, um modellhaft das neue Verhalten zu demonstrieren. In der Gruppentherapie werden Mitpatienten zu Rollenspielpartnern. Im Laufe der Therapie werden konkrete „Hausaufgaben“ vereinbart, die der Patient möglichst in seinem Alltag umsetzen soll.
 

Neue Verhaltensweisen werden in der KVT im geschützten Rahmen der Therapie erprobt und – wenn sie sich „richtig“ anfühlen – ins Alltagsleben eingebracht.

Bei besonders hartnäckigen Verhaltensmustern ist davon auszugehen, dass sie auf langjährigen, bis in die Kindheit zurückreichenden Lernerfahrungen beruhen, die zu sehr verfestigten Denk- und Verhaltensgewohnheiten geführt haben. Auch diese tiefsitzenden Lernerfahrungen gilt es in der KVT zu erkennen, damit der Patient seine im Hier und Jetzt erlebten Verhaltensmuster besser verstehen und einordnen kann und um seine Motivation zu steigern.

Ablauf und Zeitrahmen

Derzeit stehen einer Verhaltenstherapie max. 80 Sitzungen zur Verfügung, deren Kosten von der Krankenkasse erstattet werden. Normalerweise wird die KVT einmal wöchentlich für eine Stunde durchgeführt. Gegen Ende der Therapie werden die Sitzungen „ausgeschlichen“, d.h., der Abstand zwischen den Sitzungen auf zwei, vier oder sechs Wochen vergrößert, was individuell zwischen Patient und Therapeut vereinbart wird. Dies hat den Sinn, erreichte Verhaltensänderungen über längere Zeit ohne Therapie ausprobieren zu können, also ins Leben zu bringen, und Rückfällen vorzubeugen. Denn oft wird erst über einen längeren Zeitraum erkannt, ob sich „alte“ Gewohnheiten wieder eingeschlichen haben, die dann im Rahmen der Therapie besprochen werden können.

Bei welchen Schmerzformen eignet sich die KVT?

Bei chronischen Schmerzerkrankungen strebt die KVT an, Patienten eine spürbare Schmerzlinderung und trotz verbleibender Schmerzen ein aktiveres und erfüllteres Leben zu ermöglichen. In jüngerer Zeit wird die KVT zunehmend auch bei nicht-chronischen Schmerzen (subakuten Schmerzen) empfohlen, insbesondere bei Rückenschmerzen. So wird verhindert, dass leichte Schmerzformen, wie sie immer wieder auftreten können, in ein chronisches Stadium einmünden.
 

Mit bestem Dank an die Autorin Monika Hasenbring