- Präsidium
- Wahlen 2024
- Bundesgeschäftsstelle
- Ständiger Beirat
- Fachbeirat
- Kommissionen
- Arbeitskreise
- IASP & EFIC
- Institutionelle Mitglieder
- Korrespondierende Mitgliedschaft
- Fördermitglieder
- Ehrenmitglieder
- Ehemalige Präsidenten
- Unsere Mitgliedschaften
- Satzung
- Geschäftsordnung
- Transparenz-Information
- Shop
Schmerz und Sexualität
Sexualität kann in unserem Leben eine besondere Bedeutung haben. Sie ist ein wesentlicher Aspekt der Verbundenheit in der Partnerschaft und Intimität und geht für viele Menschen mit einer größeren Befriedigung im persönlichen, beruflichen und emotionalen Bereich einher. Sexuelle Gesundheit ist damit ein wichtiger Lebensaspekt.
Das sexuelle Erleben geht mit Lust einher, welche häufig im Zusammenhang mit Schmerz, Angst, Trauer beeinträchtigt sein kann. So berichten viele Patienten mit chronischen Schmerzen von unterschiedlichen sexuellen Beeinträchtigungen, die in einem späteren Abschnitt etwas genauer beschrieben werden. Zunächst soll ein altes Vorurteile in denen Frauen mit Migräne bis ca. Anfang des 19. Jahrhundert unterstellt wurde, dass sie sich mit dem Kopfschmerz den „ehelichen Pflichten“ entzogen hätten, zurückgewiesen werden. Heute weiß man aus Untersuchungen, dass Patienten mit Kopfschmerzen tatsächlich tiefgreifende Veränderungen ihrer Sexualität erleben, die sie selbst als sehr belastend erleben. Interessanterweise zeigt sich im Gegensatz dazu, dass wenn Migräne-Patienten während einer Attacke sexuell aktiv sind, dies bei etwa zwei Dritteln auch zu einer Verbesserung, bei einem Drittel aber auch zu einer Verschlechterung der Kopfschmerzen führt. Unklar ist, ob die Verbesserung der Schmerzen eine Folge der Ablenkung der vielfältigen Sinneswahrnehmungen (Geruch, Tastsinn, Geschmack) im Rahmen von Sexualität und Lust oder der physiologischen-hormonellen Veränderungen ist.
Bei den meisten Sexualpartnern stehen Liebe und Zärtlichkeit im Vordergrund. Manche Menschen allerdings erleben Lust im Zusammenhang mit Schmerz. Der Übergang von einer lustvollen Spielart von Lust und Schmerz zum krankhaften Zwang, dem Sexualpartner Schmerz zuzufügen bzw. schmerzhafte Handlungen zu verlangen ist fließend. In der Regel ist für diese Menschen der Schmerz im Rahmen der sexuellen Aktivität kontrollierbar/beherrschbar und nicht mit dem chronischen Schmerz vergleichbar.
Leider kommt es recht häufig besonders bei rheumatischen Erkrankungen, dem Fibromyalgie-Syndrom, Schmerzen am ganzen Körper, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Unterbauchschmerzen und Schmerzen im Becken und Genitalbereich zu den unterschiedlichsten sexuellen Beeinträchtigungen. Diese werden im Folgenden etwas genauer beschrieben:
Vielfältige körperliche und psychosoziale Faktoren haben einen Einfluss
Die Folgen der Schmerzerkrankung können einen wesentlichen Einfluss auf die Sexualität haben: z.B. die Steifigkeit in der Bewegung, Verspannung der Muskulatur, Erschöpfung, Schlafstörung, Gewichtszunahme. Der Einfluss von Medikamenten ist ebenfalls bedeutsam und muss in der Therapie unbedingt berücksichtigt und mit dem Arzt besprochen werden. Vor allem Antidepressiva, die zur Behandlung von depressiven Verstimmungen, zur Verbesserung der Schmerzverarbeitung oder bei Schlafstörungen eingesetzt werden, können die sexuelle Lust und Erregbarkeit beeinträchtigen. Aber auch Antikonvulsiva (Medikament gegen Krampfanfälle, die häufig auch bei Schmerzen eingesetzt werden) und opioidhaltige Medikamente beeinträchtigen häufig die sexuellen Funktionen/Lust und können auch zu einem Testosteronmangel beim Mann führen.
Körperliche Faktoren der Erkrankung wie Entzündungen, Nervenschädigung, aber auch Veränderungen im Stoffwechsel und Gefäßsystem, Hautprobleme, hormonelle Veränderungen sind wichtige Einflussfaktoren. Eine erhöhte Empfindlichkeit bei Schmerzreizen kann mit einer schmerzhaften Sexualität einhergehen.
Psychologische Faktoren können z.B. Angst vor der Bewegung und ein allgemeines Schonungsverhalten, mangelndes Vertrauen in den eigenen Körper, aber auch Scham (z.B. weil sich der Körper nach einem Unfall oder Gewichtszunahme verändert hat), ein verringertes Selbstwertgefühl oder auch depressive Stimmung sein. Der mit der Schmerzerkrankung einhergehende Stress wie berufliche Veränderungen, finanzielle Sorgen können die Lust auf Sexualität mindern. Aber auch Veränderungen in der Partnerschaft verhindern eventuell weiterhin einen genussvolle Sexualität zu erleben: der Partner ist evtl. auch verunsichert, das Paar findet keinen Weg mit der Problematik umzugehen.
Fallbeispiel:
„Hr. K. leidet seit mehreren Jahren an einem chronischen Beckenschmerz, Einflussfaktoren scheinen funktionelle, muskuläre Probleme im Rahmen von immer wieder auftretenden Rückenschmerzen, beruflichem Stress und mit der Schmerzproblematik auftretenden Paarproblemen zu sein. Zu Beginn der auftretenden Rückenschmerzen erlebt er im Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr immer wieder eine Schmerzverstärkung bei Kippbewegungen des Beckens. Das Paar ist schon lange zusammen, hat seine „Routine“ in der Sexualität, über die individuellen sexuellen Bedürfnisse wird jedoch nicht viel gesprochen. Hr. K. entwickelt zunehmend Angst vor der Sexualität und auch Scham über seine Schmerzverstärkung beim Sex zu sprechen. Sexuelle Lust ist vorhanden, er masturbiert bei Abwesenheit seiner Frau, hat jedoch ein schlechtes Gewissen, da er den Bedürfnissen seiner Frau immer weniger gerecht wird.
Neben den Rückenschmerzen treten zunehmend Schmerzen im Beckenbereich auf, welche sehr schnell dauerhaft vorhanden sind. In diesem Zusammenhang kommt es mehrmals zu längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten, bei Wiederaufnahme der Arbeit muss liegengebliebene Arbeit bewältigt werden, was mit Überstunden und Druck durch den Vorgesetzten einhergeht. Hr. K. entwickelt Schlafstörungen, da er nicht abschalten kann, fühlt sich tagsüber sehr erschöpft und bei sexuellen Annäherungsversuchen seiner Frau fühlt er sich zunehmend hilflos, lustlos und hat Angst vor eventuell auftretenden Schmerzen. Der Beckenschmerz nimmt im Laufe der Zeit trotz aller Therapiebemühungen an Intensität zu, im Rahmen dieser Beschwerden kommt es auch abgesehen von der Sexualität zu anderen Konflikten in der Partnerschaft. Hr. K. kümmert sich beschwerdebedingt immer weniger um seine Aufgaben im Garten, in der Betreuung des Sohnes und seines pflegebedürftigen Vaters, so das seine Frau zunehmend mehr belastet wird, was zu Streit und Auseinandersetzungen führt. Im Rahmen einer tagesklinischen Schmerztherapie berichtet Hr. K. dann zum ersten Mal über seine mittlerweile bestehenden sexuellen Beeinträchtigungen mit mangelnder sexuellen Lust und auch Erektionsstörung. Mit seiner Frau habe er deshalb selten sexuelle Kontakte, was die Beziehung sehr belaste. Trotz der jahrelangen Schmerztherapie habe er die sexuellen Probleme nie bei einem der Therapeuten erwähnt.“
Sexualität ist häufig kein Thema in der Schmerztherapie
Viele der betroffenen Patienten berichten dem Therapeuten nicht von diesen Beeinträchtigungen: bei Zeitmangel, wenig Ruhe für das Gespräch mit Wahrung der Privatsphäre des Patienten und auch dem offenen Rahmen, der für Fragen in diesem intimen Bereich notwendig ist, wird ein Gespräch über die sexuellen Probleme eventuell gar nicht möglich. Viele Patienten oder auch Therapeuten schämen sich, darüber zu sprechen. Manche Betroffene sehen in dem Arzt/Therapeut evtl. nicht den richtigen Ansprechpartner.
„ Hr. K. profitierte in der tagesklinischen Schmerz-Therapie vor allem hinsichtlich der muskulären funktionellen Defizite und entwickelte mit der Hilfe der Physiotherapie eine bessere körperliche Leistungsfähigkeit. Mit der Psychotherapeutin in der bereits begleitend laufenden Schmerz-Psychotherapie wurde mit Einverständnis von Hr. K. die Paarproblematik angesprochen und ein Paargespräch durchgeführt. Die Ehefrau empfand die Erläuterungen der Therapeutin hinsichtlich der Zusammenhänge von Schmerz und Sexualität, Angst vor Schmerzverstärkung und Einfluss von Stress auf die Sexualität als sehr hilfreich und zeigte sich in der Folge als sehr verständnisvoll und das Paar sprach wieder mehr über ihre Bedürfnisse und die Probleme mit der Sexualität. Eine ambulante Physiotherapie für die Beckenbodenmuskulatur führte zunehmend zu einer muskulären Entspannung, was mit frühmorgendlichen spontan auftretenden Erektionen einherging. Das Paar wagte sich wieder zunehmend mehr an den Sex heran, mit besserer körperlicher Stabilität im Rückenbereich berichtete Hr. K. auch zunehmend von weniger Angst von einer Schmerzverstärkung und mehr Mut zur „Bewegung“.
In einer umfassenden Schmerztherapie sollten alle Aspekte der Beeinträchtigung der Lebensqualität beachtet werden. Auch wenn der Schmerztherapeut kein Sexualmediziner ist, kann er die Betroffenen an den Gynäkologen, Urologen, Sexualmediziner, Sexualtherapeuten und Physiotherapeuten weiter überweisen. Bei sexuellen Beeinträchtigungen ist wie bei chronischen Schmerzen eine Zusammenarbeit mehrerer Fachbereiche deshalb sinnvoll und erfolgversprechend.