Meditative Bewegungsverfahren

Viele wissenschaftliche Studien haben die positive Wirkung der sogenannten meditativen Bewegungsverfahren auf verschiedene chronische Schmerzerkrankungen wie Kopfschmerzen, Fibromyalgie, aber auch Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen etc. untersucht. Als Ergebnis zeigte sich häufig eine Verbesserung von körperlichem und seelischem Wohlbefinden. Viele schmerztherapeutische Einrichtungen haben deshalb auch eines oder mehrere dieser Verfahren in ihr Therapieprogramm integriert und konnten feststellen, dass sie von den Patienten sehr positiv angenommen und gerne fortgeführt werden. Unter dem Begriff "meditative Bewegungsverfahren" werden Qigong, Tai Chi und Yoga zusammengefasst.

Es gibt für „Tai Chi  bzw.  Taiji“ zwei Schreibweisen. Für den Beitrag wurde die im Duden verwendete Form „Tai Chi“ gewählt. Durch regelmäßiges Üben dieser seit Jahrhunderten im asiatischen Raum praktizierten Bewegungstherapien lassen sich Körpergefühl, Beweglichkeit und Koordination verbessern. Alle drei Verfahren verbinden eine ruhige, tiefe, gleichmäßige Atmung mit sanften Bewegungsübungen. Die besondere Beachtung der Atmung beruhigt das vegetative Nervensystem. Dadurch sind Entspannung und Regeneration auch in Bewegung möglich. Dies ist für Menschen mit  dauerhaften Schmerzen besonders wichtig, weil Schmerz zu Stressreaktionen im Körper führt, die wiederum das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Schlafstörungen und Depression erhöhen. Gezielter und regelmäßiger Stressabbau ist also generell sinnvoll und besonders wichtig für Menschen mit chronischen Schmerzen.
 

Eine tiefe, gleichmäßige Atmung beruhigt das vegetative Nervensystem und ermöglicht  entspannte Bewegungen.

Qigong und Tai Chi

Qigong und Tai Chi haben ihren gemeinsamen Wurzeln in China,  die über 2000 Jahre zurückreichen. Über Jahrhunderte haben sich in beiden Bewegungsarten vielerlei Strömungen entwickelt, deren Schwerpunkte von rein meditativen Praktiken ("Qigong in Ruhe") bis hin zu Kampfkünsten ("hartes Qigong") reichen. Vor allem aber wurden beide Verfahren zur Gesunderhaltung praktiziert und gelten im Bereich der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) als eine wesentliche therapeutische Säule. Qigong und  Tai Chi sind auch heute noch fester Bestandteil der alltäglichen Lebensführung in weiten Teilen der chinesischen Bevölkerung.

 

Qigong bedeutet übersetzt "Arbeit/Umgang mit dem Qi". Qi ist ein schwer übersetzbarer Begriff aus der traditionellen chinesischen Medizin und Philosophie und kann am ehesten noch mit "Lebenskraft" umschrieben werden. Im Verständnis der traditionellen chinesischen Medizin führen Blockierungen des Qi zu Schmerzen. Die "Arbeit mit dem Qi" kann entsprechende Blockaden auflösen und auf diese Weise Schmerzen behandeln.

Qigong-Übungen verbinden Körperhaltungen, Bewegungen, Atemtechniken und meditative Konzentration. Sie werden weich fließend, kontinuierlich und langsam, wie gegen einen leichten Widerstand  ausgeführt, als ob man sich durch Wasser bewegt. Dies hilft bei der Konzentration auf die bewegten Körperareale und verhindert eine Fehl- und Überlastung. Der Bewegungsablauf entspricht leichten Dehnungen des Bewegungsapparates, die die Beweglichkeit verbessern.  Dabei sind die Übungen in der Regel Vorbildern aus der Natur mit starker Symbolkraft nachempfunden, z.B. die "Kranichübung", das "Spiel der fünf Tiere" oder "Stehen wie ein Kiefer".

Die Übersetzung von „Tai Chi Chuan“ bedeutet  "mit leerer Faust gemäß dem Tai Chi Chuan zu kämpfen" und weist sowohl auf Gemeinsamkeiten mit asiatischen Kampfkünsten als auch auf die geistige Grundhaltung ("leere Faust") hin. Die Übungen werden ebenfalls in weichen geschmeidigen Bewegungen ausgeführt, sind aber häufig koordinativ anspruchsvoller und fördern neben allgemeiner Beweglichkeit besonders den Gleichgewichtssinn. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde Tai Chi in China zu einer Art Volks- und Schulsport:  Einerseits wird es häufig morgens im Park zur Gesunderhaltung praktiziert, andererseits gibt es seit Jahren nationale und internationale Tai Chi Meisterschaften, die wie Leistungssport mit hohen körperlichen Anforderungen durchgeführt werden. Im Rahmen der TCM werden die Übungen des Tai Chi wie auch die des medizinischen Qigong nur in dem Bewegungsumfang ausgeführt, zu welchen der Übende auch schmerzfrei in der Lage ist.

Traditionell werden Qigong und  Tai Chi im Stehen ausgeübt. Bewegungen und Schritte durch den Raum finden vor allem beim Tai Chi statt, aber auch im Qigong gibt es eine eigene Kategorie, die "Übungen im Gehen". Allerdings gibt es gerade auch für Qigong Variationen im Sitzen und Liegen. Die Vielzahl an verschiedenen Stilen und Übungszyklen weist eine große Bandbreite auf. Dadurch können sich sowohl körperlich schwächere und in der Beweglichkeit eingeschränkte Menschen ohne Überforderungen mit Qigong bewegen, als auch beweglichere Menschen eine Herausforderung in den komplexeren, geschmeidigen und großzügigen Übungssequenzen des Tai Chi finden.

 

Grundsätzlich können alle Übungen, sowohl des Qigong als auch des Tai Chi der jeweiligen Verfassung des Übenden angespasst werden. 

Yoga

Mindestens ebenso alt und fast so östlich ist auch die Herkunft von Yoga. Diese aus Indien stammende meditative Bewegungstherapie ist momentan wohl der bekannteste Vertreter der meditativen Bewegungstherapien. Aber keine Sorge, man muss keinen Kopfstand können, um von Yoga zu profitieren. Auch hier entwickelten sich die über Jahrhunderte verschiedenen Strömungen mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten: neben philosophisch-meditativen sanfte Anteilen finden sich auch sehr herausfordernden Körperübungen. Eine große Bandbreite an Übungen ermöglicht einen sanften Einstieg.
Yoga beinhaltet körperliche Übungen, Atemübungen und Meditation. Am bekanntesten sind hierzulande die Körperübungen des Hatha-Yoga.

Auch im Yoga nimmt die Atmung einen sehr großen Stellenwert ein, denn der yogischen Philosophie wird mit der Atmung "Prana", also Lebensenergie aufgenommen. Es existiert deshalb auch ein großes Spektrum an yogischen Atemübungen (Pranayama).

Wichtigster Unterschied des Yoga zu Qigong/ Tai Chi ist das Halten der Endposition für einige Atemzüge, und das vorsichtige Herantasten an die eigene Belastungsgrenze mit dem Ziel, diese auch zu erweitern. Entsprechend verbessert sich auch hier die allgemeine Beweglichkeit, verkürzte Muskelgruppen werden wieder gedehnt und gelockert. Ein achtsamer Umgang mit dem eigenen Körper ist besonders wichtig.  
Eigene Entspannungseinheiten sind Teil der Yoga-Praxis. Auch hier finden sich Übergänge in Meditation, besonders Atemmeditation (Visayan).
 

Gemeinsames Wirkungsprinzip

Gemeinsam ist diesen drei meditativen Bewegungsverfahren eine weiche, gelenkschonende Bewegung, die besonders im Qigong vom Atemrhythmus bestimmt wird. Die Bewegungen sind immer weich, fließend und nie ruckartig und gewaltsam. Ein rücksichtsvoller Umgang mit den eigenen Belastungsgrenzen ist immer Bestandteil der Übungen. Der meditative Anteil besteht in der fokussierten Ausführung der Übung und macht den Unterschied zwischen "Gymnastik" und "meditativer Bewegung": bei  Qigong und Ta werden innere Vorstellungen von Bildern (meist aus der Natur) mit der Bewegung kombiniert, im Yoga liegt die Konzentration auf einer achtsamen Bewegung, bei mit jeder Bewegungssequenz der Körper gespürt werden soll. Das Üben in schmerzfreier Bewegung und das Erfahren und Erweitern von Belastungsgrenzen fördern außerdem ein positives Körpergefühl.
 

Weich fließende, kontinuierlich und langsam gegen Widerstand ausgeführte Bewegungen verhindert eine Fehl- und Überlastung des Körpers.

Meditative Bewegungsverfahren verbinden schmerzfreie Bewegung mit psychischer Entspannung und sind dadurch besonders für Menschen geeignet, die mit den klassischen Entspannungsverfahren weniger gut zurechtkommen. Auch Menschen, die innere Anspannung bislang nur durch körperliche (Über-) Anstrengung abbauen konnten können mit meditativen Bewegungsverfahren eine konstruktive Alternative. Das Ausüben schmerzfreier Bewegungen ermöglicht das dosierte Erweitern der Belastungsgrenzen, fördert ein positives Körpergefühl und die Selbstheilung wird angeregt.

Vorsichtmaßnahmen

Alle meditativen Bewegungsverfahren sind gelenkschonend. Richtig und unter Beachtung der eigenen Belastungsgrenzen ausgeführt, ist das Verletzungsrisiko extrem gering.  Menschen mit Schmerzen in Hüft-, Knie- oder Sprunggelenken können bei Schmerzverstärkung im Stehen die Übungen auch im Sitzen ausführen. Menschen mit Überbeweglichkeit der Gelenke sollten bei Yoga besonders auf eine physiologisch korrekte Gelenkstellung achten.
 
Wie und wo kann man die meditativen Bewegungsverfahren lernen?

Generell empfiehlt es sich dringend, meditative Bewegungsverfahren nicht auf eigene Faust aus Büchern oder Online-Videos zu erlernen, sondern sich die korrekte Ausführung von einem ausgebildeten Therapeuten vermitteln zu lassen. Einmal sicher erlernt, sind die Verfahren immer und überall ohne Hilfsmittel anwendbar.
Krankenkassen und Volkshochschulen bieten Kurse an, die von zertifizierten Therapeutinnen  geleitet werden und sich vor allem zum Ausprobieren der verschiedenen Verfahren eignen. Ausbildungsinstitute von Qigong/Taiji-oder Yoga-Lehrern bieten qualitativ hochwertige Kurse an, die gerade für diejenigen geeignet sind, die ihre Kenntnisse vertiefen wollen. Eine (teil-) weise Erstattung durch Krankenkassen ist meist möglich.
 

WebTipp
Internationale Gesellschaft für Chinesische Medizin e.V.
Hier finden Sie auch Patientenkurse www.tcm.edu

Mit bestem Dank an die Autorin Petra Schwinn