Schmerzmedizin in Deutschland

Die ausdrückliche Schmerztherapie in Deutschland ging vom Fach der Anästhesiologie (Narkoseärzte) um Rudolf Frey aus. Frey erhielt 1961 den erstmalig in Deutschland eingerichteten Lehrstuhl für Anästhesiologie. Den eigentlichen Anfang beziehen viele auf seine Antrittsvorlesung mit dem Thema "Neue Wege der Schmerztherapie". Auf seine Initiative hin wurde 1971 die erste Schmerzabteilung in Deutschland an der Universitätsklinik Mainz eingerichtet.

Dabei bedienten sich Frey und seine Mitarbeiter Hugo A. Baar und Hans-Ulrich Gerbershagen einer Behandlungsmethode, die den Medizinern seit Jahrzehnten bekannt war, aber bis dahin nur in drei Spezialkliniken in der Welt praktiziert wurde: Mit Hilfe von Alkohol- oder ähnlichen Narkose-Injektionen wurde der schmerzleitende Nervenstrang am Rückenmark vorübergehend betäubt oder abgetötet. Gerbershagen wurde dann 1981 Leiter der ersten Schmerzklinik in Deutschland, dem „DRK Schmerz-Zentrum Mainz“.

Zwei wichtige Konzepte verbesserten die schmerztherapeutische Versorgung in Kliniken. Zum einen durch die technische Weiterentwicklung des „PCA-Konzept“ („Patienten-kontrollierte-Analgesie“) nach Operationen, wo mittels einer Schmerzpumpe dem Patienten ermöglicht wird, sich das Schmerzmittel selbst per Knopfdruck in vorgegebenen Zeitabständen über eine Infusion in z.B. die Vene zu verabreichen; zum anderen die Hospizbewegung für Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, die neben einer Verbesserung der Lebensqualität, auch eine effektive Schmerz- und Symptomlinderung zum Ziel hat.

Im Jahr 1989 erhielt Jan Hildebrandt in Göttingen die erste Professur für Schmerzheilkunde (Algesiologie) in Deutschland. Durch Erfahrungen aus Aufenthalten in den USA entwickelte er gemeinsam mit der Schmerzpsychologin Carmen Franz ein neues Konzept für die Behandlung von chronischen Rückenschmerzen, das als „Göttinger-Rücken-Intensiv-Programm“ (GRIP) große Beachtung gefunden hat und in einem tagesklinischen Konzept angeboten wird. Die „Schmerzklinik Kiel“ wurde 1997 von dem Neurologen und Psychologen Hartmut Göbel als wissenschaftliches Modellprojekt gegründet und hat als Behandlungsschwerpunkte neurologische Schmerzerkrankungen, insbesondere aber Migräne- und Kopfschmerz.

Im Jahr 1975 wurde die „Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes“ als Ableger der Internationalen Schmerzgesellschaft, die heutige „Deutsche Schmerzgesellschaft“, gegründet. Ihr folgten 1979 die „Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft“ und 1984 das „Schmerztherapeutische Kolloquium“, die heutige „Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin“. Ein wichtiges Jahr für die Entwicklung der Schmerzpsychotherapie war 1984 das erste Treffen des Arbeitskreises „Psychotherapie in der Schmerzbehandlung“, aus dem sich 1995 die „Deutsche Gesellschaft für Schmerzpsychotherapie und –forschung“ (DGPSF) gründete.
 

Alle vier Fachgesellschaften haben sich der Erforschung von Ursache und Therapie von Schmerzen verpflichtet.

Selbsthilfegruppen von Betroffenen für Betroffene im Bereich Schmerz gründeten sich zum Teil als bundesweite Organisationen. 1970 begann die „Deutsche Rheuma Liga“ mit Ihrer Arbeit, es folgten 1990 die „Deutsche Schmerzliga“, 1993 die „MigräneLiga“, 1996 die „Deutsche Fibromyalgie-Vereinigung“ und 2011 „UVSD-SchmerzLos“.
 

 

Erst im Jahr 1996 wurde in Deutschland die offizielle Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ für Fachärzte eingeführt, die eine ca. zweijährige Schmerz-Weiterbildung voraussetzt. Mittlerweile wird diese auf Schmerz spezialisierte Weiterbildung auch für psychologische Psychotherapeuten („Spezielle Schmerzpsychotherapie“), für Physiotherapeuten („Spezielle  Schmerzphysiotherapie“) und für medizinische Fachangestellte als „Algesiologische Fachassistenz bzw. Pain-Nurse“ angeboten. Die Schmerzmedizin ist im deutschen Gesundheitssystem noch nicht als eigenständiges Fachgebiet anerkannt. Derzeit wird in den zuständigen Gremien des Bundes die Einführung eines „Facharzt für Schmerzmedizin“geprüft.

Der 2006 gegründete „Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin“ (BVSD) schreibt, dass rund 5 bis 8 Mio. Menschen in Deutschland unter chronischen Schmerzen leiden, davon etwa 3 bis 5 Millionen unter starken behandlungsbedürftigen chronischen Schmerzen mit psychischen Beeinträchtigungen – einer sogenannten „Schmerzkrankheit“. Diese Patienten benötigen eine spezielle Schmerztherapie. Noch immer dauert es im Schnitt vier Jahre bis ein Schmerz-Patient eine geeignete Therapie findet. Ergebnisse einer vom BVSD 2019 veröffentlichten Umfrage zeigten einen hohen Grad an „schmerzmedizinischer Unterversorgung“.

Aktionstag gegen den Schmerz

Jährlich, immer am ersten Dienstag im Juni, findet der "Aktionstag gegen den Schmerz" statt. Dieser bundesweite Aktionstag wurde von der Deutschen Schmerzgesellschaft erstmals 2012 ausgerufen. An diesem Tag sollen Schmerzpatienten und ihre Angehörigen über Behandlungsmöglichkeiten bei Schmerz informiert und beraten werden. Schmerztherapeutische Einrichtungen in ganz Deutschland geben Einblicke in die verschiedenen Methoden der Schmerzbehandlung. Die Deutsche Schmerzgesellschaft stellt den teilnehmenden Einrichtungen Informationsmaterialien zur Verfügung und organisiert für Patientinnen und Patienten eine kostenlose Hotline, über die Schmerzexperten aus ganz Deutschland für Fragen zur Verfügung stehen.
 

Nationales Schmerzforum

2014 initiierte die Deutschen Schmerzgesellschaft das „Nationale Schmerzforum". Man war der Überzeugung, dass nur dann Fortschritte zur Verbesserung der Schmerzversorgung in Deutschland zu erzielen sind, wenn alle Kräfte gebündelt werden. So wurden hochrangige Vertreter von Institutionen und Verbände aus Politik, Medizin, Wissenschaft, Presse, Selbsthilfe und medizinischen Einrichtungen eingeladen, um gemeinsam Defizite der schmerztherapeutischen Versorgung in Deutschland zu erörtern und Lösungswege für die Zukunft zu entwickeln. Seit 2014 findet das "Nationale Schmerzforum" einmal jährlich unter wechselnden Themen statt.
 

Weitergehende Informationen zum Aktionstag gegen den Schmerz finden Sie hier.

Mit bestem Dank an den Autor Hans-Günter Nobis