Schmerz und Partnerschaft

Viele Erkrankungen sind mit Schmerzen verbunden. Schmerzen belasten zunächst einmal den Betroffenen selbst. Schmerzen sind unangenehm, können auch quälend sein. Im körperlichen Bereich beeinträchtigen sie das Leistungsvermögen und behindern so Aktivitäten in Beruf und Freizeit. Im psychischen Bereich können sie Gefühle wie Ärger (bis hin zur Wut), Trauer (bis hin zur Depression) und Besorgnis (bis hin zur Angst) auslösen. Schmerz ist immer ein individuelles Gefühlserlebnis und dadurch unmittelbar nur für den Betroffenen selbst wahrnehmbar. Der Partner kann Schmerzen des Betroffenen nur indirekt wahrnehmen. Zu diesen indirekten Anzeichen gehören u.a. Gereiztheit, Traurigkeit, Verlangsamung, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Rückzug, eher seltener Stöhnen oder ein gequälter Gesichtsausdruck.

Schmerzen und ihre Wirkung auf die Partnerschaft

Dies alles hat natürlich Auswirkungen auf das partnerschaftliche Zusammenleben, denn Stimmungen und Befindlichkeit des einen Partners wirken auch „ansteckend“ auf das Befinden des anderen Partners. So reagiert vielleicht der Schmerzgeplagte mit Ärger und Gereiztheit, wenn etwas nicht mehr richtig klappt. Vielleicht ist er zunächst wütend auf die Krankheit, auf den eigenen Körper, der nicht richtig funktioniert, aber auch auf Mitmenschen, wenn er sich von diesen z.B. unverstanden fühlt. Wenn wir diesen Ärger auf unsere Mitmenschen nicht anderweitig loswerden, kann er schnell in Enttäuschung und Traurigkeit umschlagen und dann zu sozialem Rückzug führen. Somit können auch Freundschaften darunter leiden.
 

Die Gefahr der totalen Isolation besteht, wenn der Betroffene durch seine Schmerzkrankheit auch noch seine Arbeit verliert, woraus ein Teil des Selbstwertgefühls und soziale Kontakte bezogen wurden.

Die mit Schmerzen verbundenen körperlichen und seelischen Veränderungen beim Betroffenen haben wiederum auch eine negative Wirkung auf den Partner, weil dieser sich vielleicht angegriffen, heruntergezogen oder bei geplanten gemeinsamen Aktivitäten behindert fühlt. Nach anfänglichem Mitgefühl kann sich eine zunehmende Ungeduld entwickeln. Die Enttäuschung des unverstandenen Schmerzbetroffenen ist damit vorprogrammiert. Da Menschen, die leiden, oft sogar eine erhöhte Verständniserwartung an ihre Mitmenschen haben, ist die Enttäuschung oft doppelt schwer. Wenn der Betroffene nun auch noch mit Verärgerung, Vorwürfen oder Eingeschnapptsein reagiert, kann das beim Partner wiederum Aggressivität oder Fluchtimpulse auslösen. Entweder gibt es jetzt Streit, oder der Partner flüchtet sich in Garage, Hobbyraum oder Garten. Bei gutmütigen Partnern kommt es auch zu Hilflosigkeit: „Ich weiß nicht mehr, wie ich mit ihr/ihm umgehen soll“.

Chronisch Kranke haben oft auch Angst, vom Partner verlassen zu werden. „Ich weiß nicht, wie lange die/der es noch mit mir aushält.“ Besonders dann, wenn der Partner die Beschwerden des anderen nicht mehr ertragen kann, also selbst zermürbt oder erschöpft ist – nach dem Motto: „Ich kann das nicht mehr hören.“
 

Schmerz und Verständnis

Eine Partnerschaft kann chronische Schmerzen beeinflussen – im Positiven wie im Negativen. Unter den Bedingungen von chronischer Krankheit und Schmerz neue Zugänge zueinander zu finden und gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, ist zunächst einmal recht schwer:

Vor dem Betroffenen steht an erster Stelle die Aufgabe, sich dem anderen zu öffnen, obwohl es ihm schlecht geht und er mit Enttäuschungen zu kämpfen hat. Er muss Wege finden, sich dem anderen so mitzuteilen, dass der ihn versteht. Dabei besteht die Schwierigkeit, dass ein Mensch, der keine Schmerzen, Erschöpfung bei Alltagsverrichtungen oder Konzentrationsstörungen hat, sich dies nur schwer vorstellen kann. Empfehlenswert ist, keine Forderungen an den gesunden Partner zu stellen („Du musst Dich mit meiner Krankheit mehr beschäftigen“) oder Vorhaltungen zu machen („Du hast überhaupt kein Verständnis für mich“). Hinderlich ist auch ein Klagetonfall. Schildern Sie in einer möglichst entspannten Gesprächssituation ihre körperlichen und psychischen Probleme, ohne dies mit Forderungen, Vorhaltungen oder Klagen zu verbinden. So geben Sie dem Partner die Möglichkeit, von sich aus Schlussfolgerungen zu ziehen. Ohne Vorwürfe kann er besser Verständnis entwickeln, weil er keine Kraft in den Selbstschutz stecken muss.
 

Die Nichtbetroffenen haben die Aufgabe, sich auf unangenehme Themen einzulassen. Schmerz und Krankheit werden von Gesunden oft weit weg geschoben, um mit ihren eigenen Ängsten, Enttäuschungen und Ärger fertig werden zu können. Erst die Bereitschaft auf beiden Seiten, sich dem anderen zu öffnen, macht eine Suche nach gemeinsamen Lösungen für die Alltagsgestaltung möglich.

Trotz Schmerz Alltag gestalten

Gegenseitiges Verständnis ist die Grundlage für eine partnerschaftliche Beziehungsgestaltung im Alltag. Wenn das Verhalten des Schmerzkranken nicht mehr als „sich hängen lassen“, „mangelnde Anstrengungsbereitschaft“ oder „übertriebene Empfindlichkeit“ gedeutet wird, kann das Paar in der Alltagsgestaltung realistische Ziele anstreben. Bei Planungen und Alltagsaktivitäten sind Entweder/Oder- bzw. Totallösungen (z.B. Hausarbeit ganz an den Partner delegieren, nicht mehr gemeinsam in den Urlaub fahren, nicht mehr zu Familienfeiern fahren) zu vermeiden. Wichtig sind Kompromisse. Man kann absprechen, wer welche Hausarbeiten übernimmt, und sich dabei flexibel halten. An „guten Tagen“ kann man mehr machen, an „schlechten Tagen“ weniger. Im Urlaub muss man ja nicht alles zusammen machen. Das Urlaubsziel sollte so gewählt werden, das beide etwas finden (z.B. Thermalbad für den kranken und Alpin-Ski für den gesunden Partner; man muss auch nicht alle Tagesausflüge mitmachen).
 

Bei Familienfeiern kann man zwischendrin einen kleinen Spaziergang als Ausgleich zu Sitzen und Gesprächslärm machen. Wenn es gar nicht geht, kann man auch eher nach Hause fahren, dann ist man ja auch dabei gewesen. Wichtig ist, dass auch der Schmerzkranke seinem gesunden Partner Raum für Aktivitäten gibt, an denen er sich nicht mehr beteiligen kann. Der gesunde Partner sollte dem Betroffenen helfen, sich vom Schmerz abzulenken, oder das Schmerzverhalten „ignorieren". Ablenken hieße in diesem Fall etwa zu sagen: „Komm, raff Dich auf, Du weißt doch, wenn wir erst mal unterwegs sind, geht es Dir besser". Oder der Partner ignoriert das Schmerzverhalten, indem er motiviert: „Ich hole die Räder und warte draußen auf Dich.“

Beide Seiten sollten grundsätzlich nicht erwarten, vom anderen immer verstanden zu werden, aber sie sollten miteinander im Gespräch bleiben. So kann sich Partnerschaft sogar neu entwickeln, und die Beziehung kann reifer und reicher werden. Bei größeren Schwierigkeiten besteht die Möglichkeit, sich Hilfe von außen zu holen. Hilfe bei Partnerschaftsproblemen bieten am besten geschulte Fachkräfte in Beratungsstellen zu Ehe- und Lebensfragen. Auch Selbsthilfegruppen können Hilfestellung geben, denn Gespräche mit Betroffenen und Angehörigen von Betroffenen schaffen Verständnis, und ein Austausch schafft Erleichterung.
 

Mit bestem Dank an den Autor Jürgen Wild